Aachener Zeitung vom 28.08.2013

Wenn schon sterben,
dann auf dem Hof
Dietmar Veith ist einer von 15 Bauern der Region, die ihr
Vieh selbst schlachten. Er glaubt, so sei es für alle am stressfreiesten.
VON MANFRED KUTSCH

Aachen.
Der Aachener Bio-Bauer Dietmar Veith, Besitzer von 50 braunen Rindern der französischen Rasse Limousine mit besonders feinem Knochenbau, tötet – einmal im Monat – extrem ungern: „Wenn du einem Tier das Leben nimmst, trägst du eine große Verantwortung.“ Der wird er auf besondere Weise gerecht. Am Abend vor der Schlachtung trennt der 54-Jährige sein Rindvieh Elsa, Nr. 759, von der Herde. Doch er treibt das Tier nicht unbegleitet in den offenen Bereich des Laufstalls seines Hofes, gleich neben der Wiese mit den Apfelbäumen. Lotte, Nr. 259, soll Elsa in ihren letzten Stunden Gesellschaft leisten. Rinder und Kühe seien sehr soziale Tiere, sagt der Bauer: „Alleine sind die todunglücklich.“
Am nächsten Morgen kauen die beiden Tiere in der frühen Sonne ahnungslos ihr Heu und wedeln mit den Schwänzen, als sich der 54-jährige Bio-Bauer mit vier Möhren, einem stählernen Bolzenschussgerät und zwei Schnallen dem Stall nähert.
„Ich gehe jetzt in den Tunnel, muss mich total konzentrieren, bitte sprechen Sie mich nicht mehr an“, sagt Veith, während er das Gatter zur Seite schiebt, Lotte hinauslockt und die öffnung schließt.


„Wenn du einem Tier das Leben nimmst, trägts du eine große Verantwortung.“
DIETMAR VEITH
BIO-BAUER AUS AACHEN


Nun wendet er sich der 22 Monate alten Elsa zu, die auch in den letzten Momenten ihres Lebens einen typischen Reflex zeigt – dutzende Fliegen mit heftig wackelnden Ohren zu vertreiben. Veith gibt dem Rind mit der linken Hand eine Möhre.
Auf 32 Zähnen lässt es Elsa knacken, als der Bauer mit der rechten den Bolzenschuss-Apparat auf die Stirn setzt und auslöst. Jetzt geht alles blitzschnell: 450 Kilo Gewicht sacken zusammen, dann ist das Tier betäubt, bevor Dietmar Veith mit dem Schlachtermesser die Hals-schlagadern öffnet. Gleichzeitig schnallt der 16-jährige Sohn David die Beine vorne und hinten zusammen, den Rest erledigt der Frontlader, der den Tierkörper in einen Anhänger verlädt, der als „mobile Schlachtstätte“ mit eigener Blutauffangwanne EU-zertifiziert ist.
Mit der Schlachtung in vertrauter Umgebung hat der Biologe Veith seiner Elsa nicht nur „den Stress des Lebendtransportes zum Schlachthof“ erspart, sondern auch „die ängste bei den dortigen Wartezeiten in größter Enge mit brüllendem Fremdvieh“ sowie „das Vorantreiben mit Elek-troschockern“, sagt der Bauer: „All das nehmen die Rinder sehr genau wahr, und der Stress wirkt sich auch auf die Qualität des Fleisches aus, davon bin ich überzeugt.“
Zu Lebzeiten der Tiere, da ist sich Dietmar Veith sicher, „habe ich zu dem stehen können, wie ich mit den Rindern umgehe“. Reine Grasfütter-ung betreibt der Bauer, der keinerlei zusätzliche Kraftnahrung einsetzt: „Aber in einem Punkt war ich mit mir im Unreinen: mit dem, was die Tiere auf dem Schlachthof erwartet.“ Also ließ sich der 54-Jährige im vergan-genen Jahr bei der Landwirtschafts-kammer Niedersachsen schulen und prüfen: in Waffenkunde sowie in der „Immobilisierung“ von Rindern, wie „betäuben“ im Amtsdeutsch heißt. Sodann erhielt Veith im November 2012 vom Veterinäramt der Städte-region Aachen die „Genehmigung für die Schlachtung einzelner Rinder im Haltungsbetrieb“ – über diese Lizenz verfügen in der Städteregion sieben weitere landwirtschaftliche Betriebe, im Kreis Düren fünf, im Kreis Heinsberg zwei.
Zwölf Tiere hat der Bauer bislang auf dem eigenen Hof getötet – unter den Bedingungen der Behörde, die unter
anderem „die Einhaltung der Anforderung des Tierschutzrechtes“ vorsieht – sowie die „hygienisch einwandfreie“ Beförderung zum Schlachthof, bei einem Transport, der „nicht länger als eine Stunde“ währen darf.
Eine Zeitvorgabe für Veith, die zu seiner Schlachtstättebei einem Stol-berger Metzger mühelos einzuhalten ist. Den Schlachthof Eschweiler fährt Veith nicht an, obwohl der Betrieb zwar Vieh zerlegen, aber wegen festgestellter Missstände nach wie vor nicht schlachten darf.
Schließlich wird Veiths totes Rind verarbeitet wie alle anderen auch. Zwei Tage später hängen die rund 150 Kilo Fleisch – etwa ein Drittel des Lebendgewichtes von „Elsa“ – in der Kühlkammer der Bauernfamilie. Im Mailverkehr steht Ehefrau Ulrike Veith mit den Stammkunden des Hofladens, wo neben Gemüse und Obst das monatlich frische Fleisch angeboten wird. Bio-Rind, stressfrei aus der Welt geschieden. Das haben nicht viele der jährlich 3,5 Millionen in Deutschland geschlachteten Rinder zu bieten.

Elsas Hinterlassenschaften

Wer freilich Kalbfleisch auf dem Hof der Veiths kaufen will, wird vom Chef enttäuscht: „Ich schlachte kein Kalb von der Muttermilch weg, grund-sätzlich nicht.“ Elsas letzte Wegbegleiterin Lotte, längst über 30 Monate alt, hat derzeit auch nichts zu befürchten: „Sie hat eine gute Gewichtszunahme von täglich 800 Gramm, ist charakterlich in Ordnung und wird Mutter“, sagt Veith.
Während Lotte wieder auf der Weide steht, bieten die Veiths Elsas Hinterlassenschaften an: Das Rumpsteak für 39 Euro im Kilo, Gulasch 18,50 Euro, Brustfleisch mit Knochen 6,90 Euro. „Die Nachfrage ist gewaltig, der Vorrat schnell weg“, sagt Ulrike Veith. Doch trotz des wirtschaftlichen Erfolges schläft ihr Mann schlecht, wenn er wieder schlachten muss.
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Das französische Rind Elsa kurz vor der Schlachtung in der vertrauten Umgebung des Laufstalles auf dem Hof des Aachener Bauernpaares Ulrike und Dietmar Veith. Foto: Andreas Steindl
Wenn schon sterben, dann auf dem Hof – Lesen Sie mehr auf: http://www.aachener-zeitung.de/lokales ...


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